Der Kampagnen-Journalismus
Immer wieder wird der TAGESZEITUNG vorgeworfen, die Rolle der Südtiroler Bild-Zeitung zu übernehmen. Ein Trugschluss, denn den Kampagnenjournalismus haben sich andere zu eigen gemacht. Eine Polemik.
von Anton Rainer
Wer glaubt, das Wesen des Boulevardjournalismus an farbigen Überschriften und provokanten Schlagzeilen zu erkennen, macht es sich zu leicht: Die wahre „Bild“ Südtirols arbeitet seit längerem an einem seriösen Profil. Unter Toni Ebner kämpft das Tagblatt „Dolomiten“ mit Händen und Füßen um die eigene Relevanz, man demonstriert Macht und zementiert mit Nachdruck die wirtschaftlichen Interessen des mächtigen Verlages – und tritt dabei journalistische Ethik mit Füßen. Der Boulevard zeigt sich in Kampagnen, Interessenkonflikten und Methoden: Eine kleine Bestandaufnahme ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
1. Die Kampagnen
Ältere Medienbeobachter mögen sich noch mit Wehmut daran erinnern, als die Berichterstattung des Südtiroler Tagblatts einer Ideologie folgte – Diese Zeiten scheinen vorbei zu sein: In ihrem hauptsächlich ökonomischen Bestreben, Politik zu machen, statt über sie zu berichten, hat die „Dolomiten“ von den großen Boulevard-Vorbildern Krone und Bild gelernt.
Statt einer Abbildung der Realität zählt im Weinbergweg die möglichst korrekt platzierte Themensetzung. Ob „Stopp der Gewalt“ oder die aktuelle Panik um die fatalen Folgen der Verfassungsreform: Wenn Oscar Peterlini und Helga Thaler urplötzlich zur ungleichen Front eines gemeinsamen Kampfs vorrücken, steigt am Ende nur eine Siegerin aus dem Ring: Die Dolomiten-Redaktion, die die Verdrehung von Realitäten journalistischen Überlegungen vorzuziehen scheint – und dabei in ganz Südtirol ein Nicht-Thema zur Tagesordnung erhebt. Überhaupt: Die Schizophrenie, mit der das Athesia-Blatt die Südtiroler Volkspartei wahlweise nieder- oder in den Himmel schreibt, verwundert nur dann, wenn man den Boulevard nicht kennt: Was der Dolomiten ihre SVP, war der Bild ihr Christian Wulff – Oder um es mit Springer-Chef Mathias Döpfner zu sagen: Wer mit der Zeitung „im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr im Aufzug nach unten.“
Beispiele für eine opportunistische Doppelmoral, die sich nicht erst seit kurzem durch sämtliche Athesia-Blätter zieht: Ein Dolomiten-Beitrag, der sich über gekreuzigte Frösche echauffiert, folgt auf sich sonntäglich lasziv räkelnde Zett-Girls, aus verstockten Sündenböcken im Rentenskandal werden altehrwürdige Autonomie-Experten mit Deutungshoheit – und wenige Monate nach einer beispiellosen „Stopp der Gewalt“-Kampagne posiert die Dolomiten-Redaktion mit gezückten Bananen gegen Rassismus im Profi-Fußball. Ja, was denn nun?
2. Die Interessenkonflikte
Dass derartige Kampagnen umso vehementer geführt werden, je stärker der eigene Verlag von Wirtschaftsinteressen geleitet wird, liegt auf der Hand. Ökonomische Interessenskonflikte haben in einer idealen Welt nichts in den Redaktions-Räumen zu suchen, in die DNA der „Dolomiten“ sind sie hingegen eng verwoben. Ob Athesia Energy, Brennercom oder Schnalstaler Seilbahnen: Wo Mutter Athesia ihre Finger im Spiel hat, dürfen die Tastaturen der hauseigenen Journalisten heißlaufen. Als die Brixner im vergangenen Herbst über den Bau einer Gondel zum Hausberg abstimmen sollen, lässt es sich das Sonntagsblatt „Zett“ nicht nehmen, am Wahltag mehrseitige, redaktionell verpackte, Werbung für das Vorhaben zu schalten.
Selbst im Kulturteil zählen journalistische Kriterien nur dort, wo wirtschaftliche Interessen großräumig umschifft werden. Als im Sommer 2014 „Die drei Kreuze“, eine Rockoper über die Geschichte Südtirols, im Eisacktal Premiere feiert, tritt der Athesia-Verlag als Hauptsponsor auf: Die „Dolomiten“ rühren wochenlang die mediale Werbetrommel, eine freie Journalistin wird als Rezensentin engagiert. Erst am Folgetag teilt man ihr aus den Redaktionsräumen mit, dass ihre negative Kritik leider nicht den Vorstellungen des Blatts entspricht. Ihr Beitrag wird ersatzlos gestrichen und durch eine positive Rezension ersetzt.
3. Die Methoden
Richtig ist: Kein Medium ist gezwungen, Artikel abzudrucken, die es nicht mit der eigenen Blattlinie in Einklang bringen kann, doch der Vorfall reiht sich in Methodik ein, die sich in ihrer Vielzahl bei zahlreichen Boulevard-Medien nachweisen lässt. Das Aufbauschen von Hinterbänklern, die Vermischung von Anzeigen und Redaktionellem oder etwa die kreativen Einfälle, um politische Äußerungen zu konstruieren: Dokumentiert werden sie etwa vom SEL-Abgeordneten Florian Kronbichler auf seinem Facebook-Profil. Anstelle eines erwarteten Interviews habe man ihm am Telefon Sätze vorgelegt, die er lediglich bejahen durfte. Kronbichler: „Tags drauf erfährt das Dolomiten-Leservolk getüttelt als Zitat von mir, „Schutz für Südtirol ist nur gestundet“. Ein Eigenzitat der Zeitung, mir in den Mund gelegt.“ Die Vorgabe: Wer seine Recherche mit einem Ergebnis beginnt, braucht Gespräche erst gar nicht zu führen.
Das Ergebnis ist klar: Der komplizierte Spagat, den man bei „Athesia“ zur Blattlinie erhoben hat, macht das Tagblatt der Südtiroler immer häufiger zum mächtigen Wolf im Schafspelz. Weil man einem seriösen Layout seinen journalistischen Hintergrund nicht ansieht, wurde das Vorwissen über Verlagsbilanzen zum Pflichtprogramm für Dolomiten-Leser und –Leserinnen. Das ist schade, aber wohl auch ein Grundkurs in prinzipiell wichtiger Medienskepsis. Was bleibt: Das „Gschmäck’le“ des Boulevards trügt nicht – und es braucht kein Seite-1-Girl, um zu wirken.
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