Garantierter Stundenlohn
Die Regierung Renzi will offenbar den gesetzlichen Mindestlohn einführen. Wer nicht kollektivvertraglich abgesichert ist, soll pro Arbeitsstunde sieben Euro erhalten. Die Gewerkschaften sind jedoch nicht glücklich darüber.
von Heinrich Schwarz
In 22 der 28 EU-Staaten gibt es mittlerweile einen gesetzlichen Mindestlohn. Italien gehört nicht dazu. Nach langjährigen politischen Diskussionen hat zuletzt Deutschland den Mindestlohn eingeführt. Seit 1. Januar 2015 gilt dort: Jeder Arbeitnehmer muss pro Stunde mindestens 8,50 Euro brutto erhalten.
Nun könnte auch Italien nachziehen. Wie der Corriere della Sera in seiner gestrigen Print-Ausgabe berichtete, sei die Summe noch nicht fix – aber: Die Entscheidung über die Einführung des Mindestlohnes sei gefallen. Die Regierung um Ministerpräsident Matteo Renzi soll – immer laut Corriere – in einigen Wochen die Details klären. Die Rede ist von 6,50 bis sieben Euro pro Stunde.
Der Mindestlohn soll in jenen Sektoren angewandt werden, die keinem nationalen Kollektivvertrag unterliegen. Abgezielt wird also auf die prekären Arbeitsverhältnisse, die in den letzten Jahren – auch in Südtirol – stark zugenommen haben und viele Menschen in die Armutsfalle treiben.
Zur Klarstellung:
Der Mindestlohn ist von den Begriffen Grundeinkommen oder Mindestsicherung abzugrenzen. Er bezieht sich nur auf jene Personen, die einer Arbeit nachgehen. Der Mindestlohn besagt: Ist ein Arbeitsverhältnis nicht durch einen Kollektivvertrag abgesichert, darf der Stundenlohn die gesetzliche Grenze nicht unterschreiten.
Man möchte meinen, die Gewerkschaften zeigen sich höchst erfreut über die mögliche Einführung des Mindestlohnes. Doch dem ist nicht so.
Alfred Ebner, Generalsekretär des Südtiroler AGB-CGIL, sagt: „Natürlich steht das Thema aufgrund der zahlreichen prekären Arbeitsverhältnisse, die nicht kollektivvertraglich abgedeckt sind, im Raum, aber ich würde eher eine Mindestsicherung vorziehen.“
Er erläutert: „Der Mindestlohn wäre für uns ein Problem, denn er würde die Gewerkschaften auf kollektivvertraglicher Ebene schwächen. Die Unternehmerverbände könnten sich nämlich am Mindestlohn orientieren. Und solange man ihn einhält, wäre man rechtlich ja in Ordnung“, so Ebner.
Neben der Mindestsicherung plädiert der Gewerkschafter für eine Abschaffung der prekären Arbeitsformen. „Dies wäre eigentlich der richtige Weg“, betont Alfred Ebner.
Eine etwas andere Ansicht hat Stefan Perini, Direktor des Arbeitsförderungsinstitutes: „Heute gibt es immer mehr Arbeitsformen und –verträge, die nicht kollektivvertraglich abgesichert sind. Theoretisch könnte man einem Projektmitarbeiter somit nur fünf Euro pro Stunde zahlen.“ Es sei deshalb auch eine moralische Frage, einen Mindestlohn vorzugeben. Man würde sich damit auch den europäischen Standards anpassen.
Perini befürchtet, dass sich die Lohnspirale ohne einen Mindestlohn nach unten bewegt, „wodurch immer mehr Menschen zu sozialen Problemfällen werden und von der öffentlichen Hand leben müssen.“ Die Kosten müsse dann der Steuerzahler tragen.
Eine große Debatte zum Mindestlohn sieht der AFI-Direktor in den Ausnahmeregelungen. Was passiert mit Saisonarbeitern, Praktikanten und Lehrlingen? Zudem müsse man in Italien territorial differenzieren. „Ein ungefährer Nettolohn von 900 Euro kann in Kalabrien durchaus fair sein, in Südtirol aber nicht“, so Stefan Perini.
Zuerst gilt es aber erst abzuwarten, ob die Regierung den Mindestlohn tatsächlich einführt. Denn vonseiten der Gewerkschaften zeichnet sich zäher Widerstand ab.
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