Iatz reichts!
Schwarze Mitbürger und weiße Lieferwägen: Wer die diffusen Ausländer-Ängste der Südtiroler live erleben will, braucht dazu kein „Sügida“. Die Panikmache funktioniert in sozialen Netzwerken. Ein Kommentar.
von Anton Rainer
Hey, Sie! Haben Sie eigentlich Angst? Fühlen Sie sich sicher? Ja?
Dann haben Sie heute vermutlich noch nicht aus dem Fenster gesehen. Ja genau, an der Ecke zwischen Volksschule und Despar, da sehen Sie doch diesen weißen Lieferwagen, oder? Mit serbischem Kennzeichen und zwielichtigen Gestalten im Fahrzeug, hat ihr Nachbar gesagt. Da könnte Gemüse drinnen sein, stimmt – aber wer sagt Ihnen, dass zwischen Zucchini und Paprika nicht auch eine Brechstange liegt.
Richtig, Sie sollten die Polizei benachrichtigen – oder gar den Medien schreiben? Moment, Sie sind stinkwütend, da dauern Nachforschungen zu lange. Sie sollten den Lieferwagen posten!
Überhaupt: Sie sollten den Fahrer posten, und sein Nummernkennzeichen, und Sie sollten „Super Integration!!!!!!!!“ darüber und rassistische Kommentare darunterschreiben. Sie sollten patrouillieren, nachts, und Kameras fordern und wenn Sie da so stehen und auf diesen Lieferwagen schauen – sollten Sie sich da nicht die Frage stellen, ob Sie möglicherweise eine Waffe brauchen?
Südtirols Sicherheitskräfte sind nicht zu beneiden: Kaum haben sich Carabinieri und Polizei damit abgefunden, dass der gemeine Südtiroler möglichst wenig mit staatlicher Polizeigewalt zu tun haben möchte (Stichwort Speed-Check-Boxen), hat das Volks-Pendel wieder seine Richtung geändert. Nun also wieder mehr Überwachung, mehr Kontrollen, mehr Polizei-Härte. Der Grund dafür: Eine Serie von Einbrüchen, die, zumindest laut Facebook, einmalig in der Kriminalgeschichte Südtirols ist – Das behauptet zum Beispiel die Gruppe „Iats reichts“, die mit ihren mehr als 7.000 Mitgliedern Südtirols Paranoia eine neue Dimension verleiht: Da werden Lastwagen zu Raubwaffen gemacht, scheinbar „Verdächtige“ aus nächster Nähe fotografiert und Politiker mit nächtlichen Mails in den Wahnsinn getrieben.
Die ausgegebene Losung, man mache ohnehin nur „EINBRUCH MELDUNGEN und WARNUNGEN“, scheint mittlerweile in den Wind geschlagen: Zorn und Empörung haben online mehr Erfolg. So braucht die kochende Volksseele weder Wasser noch Topf für ihr Festmahl – Wen interessiert es denn schon, dass die angeblich so stark gestiegene Zahl an Wohnungseinbrüchen weit unter dem italienischen Durchschnitt liegt (und dem Innsbrucks, Wiens etc.), wer „Notstand“ schreit, dem wird geglaubt.
Knapp zwei Jahre ist es her, als „Stopp der Gewalt“ eine Gewaltspirale zu konstruieren versuchte, deren kampagnisierende Panik Politik und Gesellschaft in Aufregung versetzte. 2015 sind wir keinen Deut weiter gekommen – Weil die gefühlte Sicherheit die realen Bedürfnisse der Südtiroler offenbar übersteigt, gibt es plötzlich neue „Sicherheitsgipfel“, eine schäumende Opposition und Polizisten, die im Zweifel lieber hart durchgreifen, als als „Gutmenschen“ zu gelten.
Klar ist: Kein Dampfkessel kann ewig pfeifen – vor allem dann nicht, wenn plötzlich Bürgerwehren involviert werden: Selbsternannte Dorfsherrifs mit einer gesunden Grundskepsis gegenüber allem, was nicht nach Tiroler riecht – Mir sein mir, jeder ist verdächtig, es gilt die Schuldsvermutung. Wer sich an den Todesfall Michael Brown in der US-Kleinstadt Ferguson erinnert, kennt die Gefahren einer unvermeidlichen Lynchjustiz. Anders gesagt: Die Feuerwehr löscht Feuer, was beseitigt eine Bürgerwehr?
Ein letztes: Vor einigen Jahren war ich als Volkszähler in mehreren Eisacktaler Dorfgemeinden unterwegs. Mein Aufgabengebiet: Mit einem weißen Golf hinfahren, von Tür zu Tür spazieren, Notizen machen, in Fenster gucken, um zu sehen, ob jemand daheim ist. Ich kann von Glück reden, dass „Iatz reichts“ erst seit diesem Winter Ausschau hält.
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