„Mehr Schaden als Nutzen“
In einem Interview mit der „Tiroler Tageszeitung“ bremst LH Arno Kompatscher die Hoffnungen auf eine doppelte Staatsbürgerschaft: Die Begeisterung der Österreicher halte sich in Grenzen.
Am Donnerstag reist Landeshauptmann Arno Kompatscher nach Wien, um sich dort mit Vertretern des Südtirol-Ausschusses im Parlament, Bundespräsident Heinz Fischer und Außenminister Sebastian Kurz zu treffen.
In einem Interview mit der „Tiroler Tageszeitung“ legte der LH am Mittwoch die Marschroute fest:
So geht es, ersten, um die Schutzfunktion Österreichs. „Allein der Notenwechsel zwischen der italienischen und österreichischen Regierung beim zuletzt ausgehandelten Finanzabkommen mit Rom dokumentiert die Schutzfunktion Österreichs und hebt den Vertrag auf eine völkerrechtliche Ebene.“
Für Kompatscher ist die Schutzfunktion das Sicherheitsnetz für die Südtirol-Autonomie. „Und vielleicht gelingt es bei einer Verfassungsreform in Österreich, die Schutzklausel auch in der Präambel der Verfassung zu verankern.“
Wenig Hoffnung hat der LH hingegen, was die Doppelstaatsbürgerschaft betrifft. „Wir wissen, dass sich in Wien und Tirol die Begeisterung in Grenzen hält, weil viele Fragen der praktischen Anwendungen unklar sind.“ Und wer die österreichische Staatsbürgerschaft in Südtirol beantragen könne, sei ebenfalls noch klärungsbedürftig. „Es besteht die Gefahr, dass uns die Debatte mehr schaden könnte, als sie uns Nutzen bringt.“
Die vom Südtiroler Heimatbund präsentierten Umfrageergebnisse, dass sich 83 Prozent der Österreicher für die Doppel-Staatsbürgerschaft für Südtiroler und 89 Prozent für ein Selbstbestimmungsreferendum aussprechen würden, will Kompatscher laut „Tiroler Tageszeitung“ nicht überbewerten. „Persönliche Empfindungen sind das eine, die realpolitische Situation und der rechtliche Rahmen das andere.“
Die politische Zukunft Südtirols liegt für den Südtiroler Landeshauptmann aktuell in der Europaregion und in der Autonomie, „die wir Schritt für Schritt ausweiten wollen“. Ziel ist bekanntlich eine Vollautonomie mit Ausnahme der Außenpolitik und der Landesverteidigung.
+++ UPDATE +++
Der Landtagsabgeordnete der Südtiroler Freiheit, Sven Knoll, bezeichnet die medialen Stellungnahmen von LH Kompatscher zur doppelten Staatsbürgerschaft „als irreführend und den Bemühungen zu einer baldigen Umsetzung nicht dienlich“.
„Anstatt auf angeblich noch offene Fragen zu verweisen, die längst geklärt sind (!), sollte der Landeshauptmann besser der Aufforderung führender österreichischer Politiker nachkommen, endlich offiziell Stellung zu beziehen, ob die Südtiroler Landesregierung die doppelte Staatsbürgerschaft wünscht“, so Knoll.
Weder die Behauptung, dass man nicht wisse, wer überhaupt antragsberechtigt sei, noch die angebliche Feststellung, dass sich im Bundesland Tirol und Wien die Zustimmung in Grenzen halte, entspreche der Wahrheit.
Beide Aussagen können laut dem Abgeordneten der Süd-Tiroler Freiheit wie folgt widerlegt werden:
1) Wer ist antragsberechtigt?
Diverse Rechtsgutachten und ein Gesetzentwurf, der dem österreichischen Parlament bereits vorgelegt wurde, zeigen auf, dass den Südtirolern der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft durch „Anzeige“ jederzeit und unkompliziert ermöglicht werden könnte. Bereits heute ist diese Form der doppelten Staatsbürgerschaft in Österreich für all jene Personen vorgesehen, die aus politischen Gründen die österreichische Staatsbürgerschaft verloren haben.
Somit ist klar definiert, dass all jene Südtiroler, deren Vorfahren im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft waren und diese infolge der Annexion an Italien (aus den daraus resultierenden politischen Gründen) unfreiwillig verloren haben, antragsberechtigt wären.
Genau dieselbe Regelung gilt auch in Italien und wird auch von anderen europäischen Staaten angewandt.
2) Gibt es in Österreich eine Zustimmung für die doppelte Staatsbürgerschaft?
Das Linzer Meinungsforschungsinstitut „Spectra“ hat in Österreich eine repräsentative Meinungsumfrage zur doppelten Staatsbürgerschaft durchgeführt. Demnach sprechen sich 83% (!) der Österreicher für eine Vergabe der doppelten Staatsbürgerschaft an die Süd-Tiroler aus!!!
Im Bundesland Tirol sind 74% für die doppelte Staatsbürgerschaft, in Wien sogar 84% dafür.
Wohl kaum ein anderes politisches Projekt erfährt in Österreich eine derart große Zustimmung in der Bevölkerung, wie die Vergabe der doppelten Staatsbürgerschaft an die Südtiroler.
„Was bisher fehlt ist somit nicht die rechtliche Umsetzbarkeit oder die Zustimmung der Bevölkerung, sondern der politische Wille in Bozen, Innsbruck und Wien“, so Knoll.
+++ UPDATE +++
Der Südtiroler Schützenbund zeigt sich verwundert über die jüngsten Aussagen von Landeshauptmann Kompatscher zur doppelten Staatsbürgerschaft.
„Die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Landeshauptmann Kompatscher anspricht, sind schon seit Langem durch das Gutachten von Prof. Walter Obwexer erschöpfend geklärt worden“, so Landeskommandant Thaler. „Die jüngste Umfrage des Heimatbundes zeigt zudem eine hohe Akzeptanz in der österreichischen Bevölkerung zu diesem Vorhaben.
Selbst Kompatscher erkennt dies an, wenn er die „persönlichen Empfindungen“ dazu anspricht. Denn alles, was außerparlamentarisch gemacht werden konnte, wurde getan. Und wie die Ergebnisse in Südtirol und Österreich zeigen, waren diese Aktivitäten auch ein voller Erfolg“. Was fehle, sei offensichtlich der politische Wille einiger Akteure im Vaterland Österreich. Derselbe politische Wille fehle anscheinend leider auch bei den politischen Verantwortungsträgern in Südtirol, denn wenn jetzt noch etwas unklar sein sollte, dann müsse Kompatscher und sein Team dringendst handeln, so Thaler.
„Es wäre doch die Aufgabe unserer Politiker, in Gesprächen und Treffen bei den politisch Verantwortlichen in Österreich Überzeugungsarbeit zu leisten“, so Thaler weiter. „Aussagen wie die von Landeshauptmann Kompatscher, das berechtigte Anliegen einer doppelten Staatsbürgerschaft „mehr Schaden als Nutzen“ bringen, sind in diesem Zusammenhang bestenfalls verzichtbar und völlig unverständlich und dürften in diesen harten Zeiten wohl eher für die Landesregierung gelten.“
Überhaupt stelle sich die Frage, ob die Prioritätensetzung der Landesregierung in Fragen der Südtirolpolitik die richtige sei: „Ein Finanzabkommen, dessen Haltbarkeit und völkerrechtliche Verankerung dahingestellt sei, wird als „Meilenstein“ bejubelt. Aber ein Vorhaben wie die doppelte Staatsbürgerschaft, das tatsächlich ein Meilenstein wäre und nicht nur die Bindung der Südtiroler zum Vaterland Österreich entscheidend verstärken würde, sondern auch ein wichtiger Anknüpfungspunkt für eine weitere Internationalisierung der Südtirolfrage wäre, soll wohl in der Schublade verstauben, weil unsere Politiker offensichtlich nicht die richtigen Worte (oder den Willen?) finden, dieses Vorhaben überzeugend in Wien zu vertreten“, zeigt sich Thaler enttäuscht.
„Der Südtiroler Schützenbund wird jedenfalls weiterhin, im Rahmen seiner Möglichkeiten, dieses Vorhaben voll unterstützen. Um es mit Georges Clemenceau zu sagen: dieses Anliegen ist zu wichtig, um es den Politikern zu überlassen“, so Thaler abschließend.
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