Der Mann im Panda
Der neue Staatspräsident zelebriert die Bescheidenheit: Er lebt in einem kleinen Apartment – und fährt einen kleinen grauen Fiat Panda. Die ersten Reaktionen auf die Wahl Mattarellas von „Spiegel Online“ und der „Süddeutschen Zeitung“.
Es waren eindrucksvolle Bilder:
Kurz nach seiner Wahl zum 12. Präsidenten der Republik ließ sich Sergio Mattarella von seinem Sohn in einem kleinen grauen Fiat Panda an seinen Arbeitsplatz verfahren, zum Verfassungsgerichtshof.
Sergio Mattarella wird als sehr ruhiger, besonnener und bescheidener Mensch beschrieben. Er zelebriert die Bescheidenheit – ein bisschen wie Papst Benedikt.
Lesen Sie, wie „Spiegel Online“ den neuen Staatspräsidenten in einem ersten Bericht in charakterisiert:
„Nichts mit ,Dolce Vita‘, kein Gedanke an ,Dolce far niente“‚- Sergio Mattarella ist vom ,süßen Leben‘ so weit entfernt wie vom ,süßen Nichtstun‘. Mattarella ist die Kombination aus Schweizer Biederkeit und deutschem Fleiß, wie ihn sich die Italiener vorstellen. Aber die kennen ihren künftigen Präsidenten kaum besser als der Rest der Welt.
Seit 2011 ist Mattarella Verfassungsrichter. Morgens geht er gegen 10 ins Büro, vor 21 Uhr kehrt er selten nach Hause zurück. Sein kleines Apartment ist vollgestopft mit Büchern.
Mattarella kommt aus einer Politikerfamilie in Sizilien. Sein Vater war ein einflussreicher, christdemokratischer Abgeordneter und Minister. Aktive oder spätere Regierungschefs gingen in seinem Elternhaus ein und aus. Zum Essen kam manchmal ein gewisser Giovanni Battista Montini. Der wurde später Papst Paul VI. Kontakt zu ,gewöhnlichen Menschen‘, Leuten aus dem Volk, jüngeren gar, hat er kaum – sagen die, die ihn kennen.
Sein älterer Bruder war Präsident der Region Sizilien, als ihn im Januar 1980 die Mafia ermordete. Sergio zog ihn, lebend noch, aus dem Auto, doch jede Hilfe kam zu spät. Er brach daraufhin seine Uni-Laufbahn ab, ging für seinen Bruder in die Politik, für die DC, die Democrazia Cristiana. Er wurde Minister in etlichen Kabinetten.
Im Sommer 1990 trat Mattarella als Minister zurück, weil die Regierung unter Giulio Andreotti mit einem Gesetz das seit Langem faktisch illegal sendende TV-Imperium von Silvio Berlusconi legalisierte. Seitdem mag Berlusconi Mattarella nicht.
Der blieb immer seiner Linie treu: gegen die Mafia, für das Gesetz.
Als die Christdemokraten Anfang der Neunzigerjahre mit einem Korruptionsskandal zu kämpfen hatten, war Mattarella einer der Wenigen, die unbeschadet daraus hervorgingen. 2008 zog er sich aus der Politik zurück. Drei Jahre später ging er in das politische Altersheim für verdiente Juristen: das Verfassungsgericht.
Nicht nur Renzis Partei votierte beinahe geschlossen für dessen Kandidaten, auch viele aus den ex-christdemokratischen Mitte-Rechts-Parteien, ein paar sogar aus dem Lager des Total-Opponenten Beppe Grillo votierten für Mattarella.“
Sergio Mattarella dürfte am Montag oder am Dienstag angelobt werden.
Und so „sieht“ die „Süddeutsche Zeitung“ den neuen Staatspräsidenten:
„Urteilt man nach den vier Minuten langen Ovationen, die auf die Wahl von Sergio Mattarella zum Präsidenten folgten, dann könnte man leicht meinen, der sizilianische Politiker sei der Mann, auf den Italien schon lange gewartet hatte. Doch der Eindruck, der 73-Jährige sei eine Art Heilsbringer in spe, wäre natürlich übertrieben.
Vielmehr applaudierten die Herrschaften, diese 1009 Parlamentarier und Vertreter aus den Regionen, in erster Linie sich selbst. Immerhin war es ihnen gelungen, das neue Staatsoberhaupt im vierten Wahlgang mit stattlicher Mehrheit zu wählen (…)
Sergio Mattarella, den sie daheim in Palermo noch immer vertraut ,Sergiuzzo’ rufen, ist eine solide, vernünftige, gänzlich unspektakuläre Wahl und der maximal mögliche gemeinsame Nenner in einem heterogenen Wahlgremium. Manche würden anfügen, Mattarella sei eine graue, langweilige Wahl – jedenfalls auf den ersten Blick. Aber das muss nicht unbedingt schlecht sein.
An Erfahrung mangelt es ihm nicht. Der Christdemokrat sozialer Prägung war in seiner langen Karriere vier Mal Minister, unter anderem für Verteidigung und Bildung, und einmal Vizepremier eines Mitte-Links-Kabinetts. Er erlebte die Niederungen der Ersten Republik, überlebte die Korruptionsskandale von Tangentopoli unbeschädigt, half bei der Überwindung des politischen Vakuums und gab dem Land 1993 ein Wahlrecht, das die zerfahrene Politlandschaft etwas ordnen konnte.
Italien braucht alle diese Qualitäten oben auf dem ,Colle’, dem Quirinalshügel, nun, da in Matteo Renzi ein Regierungschef am Werk ist, der die Verfassung reformieren möchte und dabei zuweilen ungestüm agiert. Mattarella könnte ihn bremsen, ginge er ihm zu weit. Das sagen die, die ihn kennen. Er hat in der Vergangenheit oft bewiesen, dass ihm Prinzipien wichtiger sind als Posten (…).
Ein markantes Manko hat der neue Präsident jedoch: Es fehlt ihm an Strahlkraft. Im Ausland ist er gänzlich unbekannt, was in diesen Krisenzeiten eine zusätzliche Hypothek sein könnte. In Giorgio Napolitano, seinem Vorgänger, hatte die Welt eine sichere, renommierte Größe. Und selbst in Italien war ,Mattarellum’, der Übername seines nunmehr revidierten Wahlrechts, bekannter als der Erfinder dahinter. Mattarella tritt reserviert und scheu auf. Er war immer schon ein Mann weniger, bedachter Worte (…).
Mit Mattarella dürfte vom Quirinalspalast kein allzu großer Schatten auf ihn (Matteo Renzi, Anm. d. R.) selbst fallen; die Show stiehlt ihm der neue Präsident nicht.
Manche bedachten mit ihrem Applaus nach der Wahl Mattarellas wohl insgeheim auch die Leistung Renzis, dem hier ein politischer Coup gelungen ist. Wenigstens auf den ersten Blick.“
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