„Beethoven ist rebellischer als alle Rockmusiker“
Musik Meran feiert heuer sein erstes Vierteljahrhundert, beinahe 350 Konzerte hat der Verein seit seiner Gründung 1990 organisiert. Warum ist Meran die Südtiroler Musikstadt schlechthin, warum gibt es nirgends ein ebenso treues wie offenes Publikum? Ein Gespräch mit dem künstlerischen Leiter Josef Lanz.
Tageszeitung: Herr Lanz, Meran ist in erster Linie Kurstadt. Ist darin schon die Musikstadt angelegt?
Josef Lanz: Dass es eine Kurstadt ist, spürt man bei allen Konzerten. Die Leute wollen genießen, sie wollen etwas erleben, auch durchaus kritisch, aber sie suchen immer das Positive. Für ein Konzert kann man sich kein besseres Publikum wünschen. Man spürt die Musik schon, wenn man in die Thermengarage einfährt.
Das sagt ein Pusterer.
Meran ist voll von Pusterern, denen es im Pustertal zu kalt ist.
Meran ist die Musikstadt in Südtirol.
Absolut. Allein die Veranstaltungsorte sind einmalig. Das Stadttheater, der Pavillon de Fleurs und natürlich das Kurhaus haben weitum nicht ihresgleichen. Unglaublich beliebt ist auch die Stadtpfarrkirche. Die ist immer voll.
Welche Rolle spielt in dieser Begeisterung die Tradition ?
Eine sehr große. 150 Jahre Kurmusik stecken in den Genen der Stadt. Meran war ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ein beliebter Ort für große Komponisten wie Edvard Grieg, Béla Bartók, Richard Strauss, Max Reger und Paul Hindemith. Die Erinnerung an deren Anwesenheit spürt man. Ein Meraner Konzertbesucher geht ohne Vorbehalte in ein Konzert, er will hören, was der Künstler auf der Bühne ihm zu sagen hat. Das kann funktionieren oder auch schief gehen. Aber der Meraner ist bereit, zuzuhören. Das spüren auch die Musiker, die nach Meran kommen. Man kann Beethoven so oder so interpretieren, wichtig ist, ein für Unterschiede offenes Publikum vor sich zu haben. Das ist in Meran der Fall.
Wie treu ist das Meraner Publikum?
Sehr treu, aber es wechselt auch, und das ist gut so. Der Konzertbetrieb will heute mit großen Namen in die Breite gehen, ich halte nichts davon, ich bin sogar ein Gegner davon. Klassische Musik lernt man nicht bei zwei Starkonzerten kennen, das ist ein jahre-, eigentlich jahrzehntelanger Prozess. Wer Klassik verstehen will, und das kann jeder, muss kontinuierlich Klassik hören. Das ist unverzichtbar. Wer viel Konzerte besucht, schult sein Gehör für die Unterschiede.
Kommen die Meraner auch bei schwierigeren Programmen und weniger bekannten Interpreten?
Sie kommen und das wundert mich immer wieder. Ich musste einmal ein Cembalo-Konzert eines bekannten Künstlers wegen Erkrankung absagen. Als Ersatz habe ich einen völlig unbekannten Musiker engagiert, der Czerny gespielt hat. Der Saal war trotzdem voll.
Stars sind unverzichtbar im Konzertbetrieb, aber nicht der einzig mögliche Weg.
Mein Ziel war von Anfang an, nicht mit Starensembles, sondern mit aufstrebenden jungen Leuten zu arbeiten, die bereits auf hohem Niveau spielen. Il Giardino Armonico war Anfang der 1990er Jahre noch völlig unbekannt, heute ist es ein Starensemble. Der Sänger Thomas Quasthoff war Radiosprecher, als er in Meran „Die Winterreise“ gesungen hat. Heute singt er auf den größten Bühnen der Welt. Ich denke, das ist mir gelungen.
Wie entdeckt man Talente? Braucht es dazu die sprichwörtliche Nase?
Ich bilde mir nicht ein, alles zu verstehen oder alles mitzubekommen. Das ist unmöglich und ich bin ja nicht allein, ich habe mein Netzwerk von Musikkennern, denen ich vertraue. Es gibt weltweit einige Wettbewerbe, die wegweisend für Neues sind. Daran kann man sich orientieren, man muss natürlich am Ball bleiben. Das Spannende für jeden künstlerischen Leiter sind immer die Neuentdeckungen, aber es gibt durchaus auch ältere Musiker, die im Geist wie die Jungen sind. Das Musikleben ist heute viel diversifizierter als früher, es gibt viel mehr Nischen, in denen sich viel entdecken lässt. Früher haben sich mehr oder weniger alle an den Berliner oder Wiener Philharmonikern orientiert. Auch die großen Schallplattenfirmen haben diese Politik betrieben: 20 Pianisten unter Vertrag haben, aber nur 5 auftreten lassen. Das ist heute völlig anders. Heute kann ein Pianist über facebook berühmt werden. Das finde ich gut.
Ist klassische Musik für Sie rebellische Musik?
Absolut. Beethoven war viel rebellischer als die Rockmusiker. Wenn man seine letzten Werke hört, kann man verrückt werden. Ein Streichkonzert von Schubert muss jedes Mal neu klingen und es klingt jedes Mal neu.
In der Klassikbranche gehört das große Jammern zum guten Ton. Sie hört man nie jammern.
Innerlich jammere ich schon. In meiner Familie bekomme ich oft zu hören, dass ich ein Jammerer bin, weil ich mit nichts zufrieden bin, vor allem mit mir selbst nicht. Aber nur Jammern und Schimpfen bringt halt nicht weiter. Das ist keine positive Energie.
Alle singen das Lied vom Tod der Klassik aufgrund von Sparmaßnahmen, Starkult, aussterbendem Publikum, Volksverdummung und so fort.
Das hasse ich. Wie soll man das Publikum begeistern, wenn man nur jammert? Und die Gründe für das Gejammere sind alle falsch. Es hat noch nie so viel Publikum gegeben und nie war es unterschiedlicher. Früher war ein Konzert eine Veranstaltung für Aristokraten und Bürger, heute gehen alle hinein vom Handwerker bis zum Bauer. Nicht viele, aber es gibt sie. Das Gejammere schwappt ein bißchen von Deutschland zu uns herein, aber es hat keine sachliche Grundlage. Deutschland hat fast so viele Orchester wie der Rest der Welt zusammen. Ein paar Fusionen oder Streichungen sind da nur natürlich.
Ist Mahler Ihr Komponist?
Mahler ist der Leidenskomponist. Er überwältigt, er macht süchtig, er trifft einen ins Mark. Ansonsten mag ich Komponisten, die Kraft haben: Bach, Händel, Haydn, natürlich Mozart, Schubert, Brahms, auch Bartok und Schostakowitsch. Im Romantischen steckt Kraft. Die Seele ist ein Labyrinth, die Musik hilft uns, dieses Labyrinth auszuleuchten.
Wie groß ist Ihre Plattensammlung?
Etliche tausend Stück.
Sie sind der meistbeschäftigte Musikmanager des Landes. Was treibt Sie an?
Mich hat immer interessiert, etwas aufzubauen. Ob bei Musik Meran, Musica viva im Vinschgau, Gröden, die Mahler Wochen in Toblach, Musik und Kirche Brixen – wenn Menschenn da sind, die etwas aufbauen wollen, bin ich dabei. Wenn etwas läuft, bin ich in Gedanken schon wieder weiter. Mein gegenwärtiges Herzblutprojekt ist der Musiksommer Pustertal, der eine neue Form der Einbeziehung von lokalen Strukturen pflegt. Die Menschen in den Dörfern wollen nicht etwas vorgesetzt bekommen, sondern selbst Verantwortung für ihr Kulturleben übernehmen. Mein Motor ist die Begeisterung des Publikums und die großen Komponisten. Die Aussage kommt vom Komponisten, vom Werk – darum geht es letztlich.
Interview: Heinrich Schwazer
Josef Lanz
Der gebürtige Pusterer Josef Lanz war von Beginn weg der künstlerische Leiter von Musik Meran. Bereits in der Vorgänger-Konzertreihe „Jugend und Musik“ war er zu einem Teil für das Programm verantwortlich. Durch seine dreißigjährige Tätigkeit als Leiter der Klassik-Abteilung bei der RAI in Bozen brachte er gute Kontakte und viel praktische Erfahrung im Umgang mit Künstlern mit. Durch seine Netzwerkarbeit in ganz Südtirol kann er Ensembles und Orchester, Künstlerinnen und Künstler immer wieder für mehrere Termine verpflichten und damit auch kosteneffizient planen. Er ist außerdem künstlerischer Leiter verschiedener Konzertreihen und Festivals sowie Leiter des Bereichs Musik im Südtiroler Künstlerbund. Er hat in Innsbruck Musikwissenschaften studiert und ist an der Oboe und an der Orgel ausgebildet. Musik ist für ihn „Reflexion des eigenen Lebens und Erinnerung an nie Erlebtes“.
Jubiläumskonzert
Das Jubiläumskonzert 25 Jahre Musik Meran findet am 25. Jänner im Kursaal statt. Das Helsinki Baroque Orchestra unter der Leitung von Aapo Häkkinen Georg Friedrich Händels Ouvertüre in F-Dur HWV 342 „E tal mi lascia – Pugneran con noi le stelle“ aus der Oper „Rodrigo „Un atto grande – Per dar pregio all‘amor mio” aus der Oper „Rodrigo „Un pensiero nemico di pace“ aus „Il Trionfo del tempo e del disinganno”, die Ouvertüre aus der Oper Agrippina, die Kantate „Salve Regina“ und das Konzert für Violine und Orchester in A-Dur KV 219 „Exsultate, jubilate“ KV 165, Solomotette für Sopran und Orchester von Wolfgang Amadeus Mozart. Solistin ist Julia Lezhneva.
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