Das Schuldgeld-System
Alle paar Jahrzehnte kommt es zu Wirtschaftskrisen – und die Menschen und Staaten verschulden sich immer weiter. Für den Experten Paul Kircher liegt die Ursache bei unserem Geldsystem, das auf Schulden aufbaut und die Wirtschaft zu ständigem Wachstum zwingt.
TAGESZEITUNG Online: Herr Kircher, wie entsteht eigentlich neues Geld?
Paul Kircher: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, neues Geld zu schöpfen. Zum einen gibt es die Zentralbank, die für die Emission von Banknoten zuständig ist. Lediglich die Münzprägung ist noch in den Händen des Staates. Allerdings machen Banknoten und Münzen, die laut Gesetz das einzige legale Zahlungsmittel sind, nur rund drei Prozent des Geldes aus.
Und die restlichen 97 Prozent?
Der allergrößte Teil des Geldes wird von den Geschäftsbanken bei der Kreditvergabe praktisch aus dem Nichts geschöpft. Das heißt, dass 97 Prozent der Geldmenge durch Kredite als Verschuldung von den Banken erzeugt wird. Deshalb bezeichnet man unser Geld auch als Schuldgeld. Die Bank, die im Grunde nur Zahlen in den Computer eintippt und so das Geld aus dem Nichts erschafft, verlangt hierfür von den Kreditnehmern auch noch Zins und Zinseszins – und vor allem auch Sicherheiten. Da aber nicht genügend Geld geschöpft wird, um auch die Zinsen zu bezahlen, kommt es in jeder Wirtschaft, die auf diesem Geldsystem beruht, zwangsläufig zu Enteignungen. Viele Experten und Wirtschaftler beschreiben unser derzeitiges System deshalb als eine legale Methode der Zwangsenteignung.
Banken verleihen also nicht nur das Geld, das die Sparer einlegen?
Genau so ist es. Diese Einlagen dienen als Mindestreserven. Durch die Spareinlage von 1.000 Euro kann die Bank etwa 100.000 Euro verleihen, da sie bei der Zentralbank nur eine Mindestreserve von einem Prozent hinterlegen muss.
Wie genau wird Geld aus dem Nichts erschaffen?
Die Kreditvergabe der Bank entsteht buchhalterisch durch eine sogenannte Bilanzverlängerung. Nimmt jemand beispielsweise einen Kredit über 100.000 Euro auf, wird auf der Aktivseite die Forderung des Kredits in dieser Höhe eingetragen. Also 100.000 Euro, die der Kunde der Bank zurückzahlen muss. Gleichzeitig wird auf der Passivseite die Verbindlichkeit des Kredits verbucht, da 100.000 Euro auf das Konto des Kunden gehen. Die Bilanzsumme erhöht sich also um 100.000 Euro. Wird der Kredit getilgt, werden beide Posten gestrichen und die Bilanz verkürzt sich wieder.
Und die Banken kassieren dazu Zinsen…
Genau. Das Problem ist, dass immer nur der Betrag des Kredites geschöpft wird – und niemals das Geld, das für die Zinszahlung gebraucht wird.
Das heißt?
Ein kleines Beispiel: In einer Inselwirtschaft gibt es zehn Marktteilnehmer und eine Bank. Jeder erhält von der Bank am Beginn eines Jahres einen Kredit von 100 Geldeinheiten zu einem Zinssatz von fünf Prozent. Am Ende des Jahres wollen alle Marktteilnehmer ihre Schulden begleichen und müssen somit insgesamt 1.050 zurückzahlen. Der Haken: Es sind nur 1.000 Geldeinheiten im Umlauf.
Was die Betroffenen vor Probleme stellt…
Ja – jeder muss sich nun mit fünf Geldeinheiten aufs Neue verschulden – oder diese einem anderen wegnehmen. Im darauffolgenden Jahr startet diese kleine Volkswirtschaft also bereits mit einer erhöhten Schuld von 50, die jetzt noch zusätzlich zu den 1.000 benötigt werden. Diese 50 an Schulden werden durch den Zinseszinseffekt noch exponentiell ansteigen, bis das System irgendwann in sich selbst implodiert. Die Schulden steigen und steigen und können niemals zurückgezahlt werden. Dies führt automatisch zu einer Umverteilung von fleißig nach reich. In diesem Fall zur Bank. Im zweiten Moment führt dieses System zur Zwangsenteignung der Marktteilnehmer. Genau dies können wir in diesem Moment in einem sehr bedenklichen Ausmaß in allen Volkswirtschaften beobachten.
Wie meinen Sie das?
Öffentliche Güter des Staates werden verscherbelt, Wasserrechte, Staatsunternehmen, Grund und Boden. Betriebe gehen in Konkurs, Privatpersonen müssen zusehen, wie ihnen ihre Wohnungen und Häuser auf Versteigerungen zu Schleuderpreisen entrissen werden. Wer dies versteht, versteht auch, dass Wirtschaftswachstum nicht zur Lösung des Problems führen kann. Im Gegenteil: Je höher das Wachstum, desto höher die Schulden, denn beide steigen parallel an.
Unser System baut auf Schulden auf?
Ja. Man versteht dies erst, wenn man sich hypothetisch vorstellt, was passieren würde, wenn alle Marktteilnehmer – also Staat, Unternehmen und Privatpersonen – ihre Schulden begleichen würden (was rein mathematisch gar nicht möglich wäre, da das Geld zur Zinstilgung fehlt, weil es nie erschaffen wurde). Wir hätten gar kein Geld mehr!
Leider hat man aus der Vergangenheit noch nichts gelernt, denn die Geldsysteme sind in der Geschichte ja schon viele Male zerstört worden und mussten durch Währungsreformen neu gestartet werden. Der Zins bedingt eine jährliche exponentielle Steigerung der Schulden, bis eine unerträgliche und nicht mehr haltbare Gesamtverschuldung von Staat, Unternehmen und Privatpersonen erreicht wird – was dann zu Finanzkrisen und allen bekannten Folgeerscheinungen wie Enteignung, Arbeitslosigkeit, Inflation und Deflation oder sogar zu bürgerkriegsähnlichen oder kriegerischen Auseinandersetzungen führt.
Interview: Heinrich Schwarz
Die Bewegung
Seit knapp zwei Monaten ist die Webseite www.humaneconomy.it online.
Sie soll interessierte Menschen über das Geldsystem und seine Folgen informieren. Hinter der Seite stehen Südtiroler Freiberufler ebenso wie Angestellte. Schon demnächst wird es zwei Vorträge der Bewegung mit dem Titel „Das Ende des Geldes – und was dann?“ geben.
Am Dienstag, 13. Januar um 20.00 Uhr in Obermais/Meran im Kolpinghaus am Brunnenplatz und am Dienstag, 27. Januar um 20.00 Uhr beim Lodenwirt in Vintl.
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