„Ansturm auf Europa“
Foto: (Landesparteitag AfD Baden-Württemberg)
Der aus Meran gebürtige Philosoph Marc Jongen, einst Mitarbeiter der Neuen Südtiroler Tageszeitung, ist Dozent für Philosophie in Karlsruhe sowie stellvertretender Landesvorsitzender und Programmkoordinator der Alternative für Deutschland (AfD) in Baden-Württemberg. Seine Arbeit an einer philosophischen Grundlegung der Partei hat eine kontroverse Debatte in Deutschlands Leitmedien ausgelöst.
TAGESZEITUNG Online: Herr Jongen, die deutschen Leitmedien bezeichnen Sie als „Parteiphilosoph der AfD“. Ist das ein Kompliment oder ein Problem für Sie?
Marc Jongen: Das ist eine sehr ambivalente Titulierung, wohl als vergiftetes Lob gemeint. Aber gegen solche Außenzuschreibungen kann man sich ohnehin schlecht zur Wehr setzen. Ich kann mich nur darum bemühen, in meinen philosophischen Äußerungen stets den Parteihorizont zu überschreiten, sodass der „Philosoph“ nicht hinter dem „Parteimann“ verschwindet.
Ein Vertreter der philosophischen Vernunft und die Parolen brüllenden AfD-Aktivisten – wie passt das zusammen?
Nicht immer ist die Straße ohne Vernunft, zumal dann nicht, wenn die Herren und Damen im Hohen Haus und in der Regierung von allen guten Geistern verlassen wurden. Gerade in solcher Lage ist es wichtig, dass der volkstümliche Protest intellektuelle Unterstützung erhält. Im Übrigen sind die meisten Teilnehmer von AfD-Demos durchaus bürgerlich, im Brüllen gar nicht so geübt, wie ich selbst im November in Berlin erleben konnte.
Die AfD-Themen sind Flüchtlingskrise, die Bedrohung durch den Islam, die Ablehnung von Euro und Europäischer Union, eine konservative Familienpolitik und die Klage gegen „Gender-Wahn“. Auf welche philosophische Grundlage wollen Sie all diese Themen stellen?
Durch all diese Themen – es gibt noch einige mehr – zieht sich als roter Faden die Besinnung auf die eigene Identität als Deutsche und Europäer sowie ein Denken in langen Zeiträumen, im Sinne einer kulturellen Nachhaltigkeit. Ein solches Denken versuche ich mit dem Begriff des Avantgarde-Konservativismus zu umschreiben. Auf eine Formel gebracht meint das die Indienstnahme zeitgenössischer Denkmittel zur Erreichung konservativer Ziele. Also kein ängstliches Festhalten am Hergebrachten, sondern ein aktives – und illusionsloses – Herbeiführen und Gestalten tradierungswürdiger Zustände.
Welche Philosophen dienen Ihnen als Kronzeugen?
Ich meine, dass alle Vergleiche der gegenwärtigen Lage mit historischen Parallelen hinken, dementsprechend muss man auch geistig Neuland betreten, um der Gegenwart gerecht zu werden. Aber natürlich steht man dabei in Traditionen. Sehr viel Inspiration ziehe ich aus Friedrich Nietzsches „Genealogie der Moral“ und seiner Kritik des Ressentiments. Wir ersticken heute geradezu an einem politisch korrekten Hypermoralismus, der uns die Probleme kaum zu benennen erlaubt, geschweige denn, sie zu lösen. Mit Nietzsche betrachtet ist das die aktuelle Erscheinungsform einer sehr alten europäischen Krankheit. Wenn wir sie nicht heilen, droht der europäische Patient daran zugrunde zu gehen.
Die von Ihnen herbeigewünschte „konservative Revolution“ herbeigeführt durch eine „konservative Avantgarde“ – das hört sich nach Fundamentalkritik an der Moderne an. Was haben Sie gegen die Moderne?
Der Begriff der „konservativen Revolution“ ist historisch stark vorbelastet, weshalb ich ihn auch nicht verwendet habe. Unter strikt demokratischem Vorzeichen könnte man sich diesen Begriff aber vielleicht wieder zueigen machen. Er bedeutete dann zwar keine Fundamentalkritik der Moderne, – dazu ist die „Revolution“ selbst viel zu modern -, wohl aber den Ausbruch aus einer modernistischen Verengung des geistigen und politischen Horizonts. Vor allem das lineare Fortschrittsdenken muss gründlich überwunden werden. Die Europäische Einigung zum Beispiel war gut bis zu einem gewissen Punkt, wird sie übertrieben, kippt sie ins Dysfunktionale. Für alle politischen oder sozialen Entwicklungen gibt es ein Optimum, das, einmal erreicht, bewahrt werden sollte, nicht mehr überschritten.
Sie beschwören die „existentielle Großgefahr eines Verschwindens der deutschen Kultur“. Das klingt, als würden Sie Deutschland am Abgrund sehen.
Angela Merkel hat Deutschland zweifellos an einen Abgrund geführt. Das hat in ihrer jüngsten Ausgabe sogar die politische korrekte ZEIT in ein Titelbild gefasst. Lange Zeit sah es so aus, als würde diese bis dato sehr mediokre, heillos überschätzte Kanzlerin dem Land auch nur auf eine relativ banale Art schaden, nämlich durch das sogenannte „Merkeln“: das Verwalten von Missständen und das Delegieren der Probleme an ihre Amtsnachfolger. Dass „Kohls Mädchen“, aus deren zehn Regentschaftsjahren nicht ein einziger bemerkenswerter Satz, sondern nur ödeste Politikerphrasen überliefert sind, es zu einer historischen, existenziellen Bedrohung für ihr Land bringen würde, hat niemand vorhersehen können. Es lässt auf einen makabren Humor des Weltgeistes schließen.
Woran droht Deutschland zugrunde zu gehen? An der Masseneinwanderung?
Das Fatale ist, dass die Masseneinwanderung auf eine Mentalität in Deutschland trifft, für die bereits das geringste Anzeichen von Wehrhaftigkeit, der leiseste Anhauch von Nationalstolz oder der zaghafteste Bemerkung, dass dies vielleicht „unser Land“, kein x-beliebiger Standort für Multikulti-Experimente sein könnte, im Verdacht des „Rechtsradikalen“ steht. Diese völlig verkorkste Psychologie, deren Ursachen tief in der deutschen Geschichte wurzeln, ist die größte Bedrohung. Freilich ist sie durch die sogenannte Flüchtlingskrise erst wirklich scharf gemacht worden.
Würden Sie die Grenzen schließen, Zäune errichten?
Natürlich müssen die Grenzen wirksam gesichert werden, was die Abweisung aller Personen bedeutet, die sie ohne gültige Papiere zu überschreiten versuchen. Das gilt in erster Linie für die EU-Außengrenzen. Solange es dort nicht funktioniert, auch für die deutsche Staatsgrenze. Die Rede davon, dass dies der deutschen Wirtschaft schaden würde, ist schlichtweg grotesk angesichts der Milliardensummen, die die Folgen der offenen Grenzen Deutschland jetzt schon kosten. Von den kulturellen und sozialen Langzeitschäden gar nicht zu reden.
Wie sollen die Deutschen ihre Kultur verteidigen?
Es geht wohlgemerkt nicht um eine Verbunkerung in der eigenen Kultur. Ohne Austausch mit anderen Kulturen, ohne Importe von außen muss jede Gesellschaft an sich selbst ersticken. Insofern sind Weltoffenheit und Toleranz zunächst einmal positive Begriffe. Heute werden sie aber perverserweise dazu benutzt, eine fetischhafte Vergötzung des Fremden zu propagieren, die auf lange Sicht das Eigene völlig nivellieren muss. Von diesem latenten Selbsthass, den es auch anderswo in Europa gibt, müssen sich die Deutschen vor allem befreien.
Deutschland mangle es an Zorn, Wut und damit an Wehrhaftigkeit gegenüber anderen Kulturen behaupten Sie. Der Volkszorn, das wissen die Deutschen am besten, kann gefährlich sein. Haben Sie keine Angst vor den Geistern, die da gerufen werden?
Wovor sollen wir Angst haben, vor einem neuerlichen Einmarsch in Polen? Vor der Machtergreifung durch Frauke Petry? Das ist so offenkundig absurd, dass es kaum eines Kommentars bedarf. In Wahrheit beschwört man permanent diese Gespenster der Vergangenheit, um von den heutigen Gefahren, die gänzlich andere sind, auf perfide Weise abzulenken. Die deutsche Gesellschaft altert rapide, die Bundeswehr ist nicht einmal zur Landesverteidigung mehr ausreichend gerüstet. Dennoch geht von Deutschland heute wieder eine Gefahr aus, nämlich die eines „moralischen Imperialismus“. Im eigenen Selbstabschaffungsfuror droht Deutschland ganz Europa mit in den Abgrund zu reißen – davor sollten wir Angst haben.
Warum grenzen Sie sich nicht klar gegen den extremen Flügel der AfD um Björn Höcke ab?
Björn Höcke hat das unterschiedliche Fortpflanzungsverhalten in Afrika und Europa evolutionär begründet, was schlichtweg Unsinn war. In Europa hatten wir noch vor hundertfünfzig Jahren ähnliche Geburtenraten wie heute in Afrika, also sind diese kulturell und nicht genetisch bedingt. Anstatt aber diesen sachlichen und politischen Fehler zum „Rassismus“ hochzustilisieren, sollte man über das Problem diskutieren, auf das Höcke richtigerweise hingewiesen hat, nämlich den rapiden Bevölkerungsanstieg in Afrika und im Nahen Osten. Der wird in den kommenden Jahrzehnten zu einem enormen Migrationsdruck auf Europa führen. Wenn wir uns nicht rechtzeitig wappnen, haben wir einen Ansturm auf Europa zu erwarten, gegen den die aktuelle Migrationswelle ein laues Lüftchen ist.
Käme die AfD an die Macht, würde sie die Gleichstellungspolitik, das Gender Mainstreaming, sofort beenden und ausschließlich die klassische Familie fördern. Ist die Gleichstellung von Mann und Frau für Sie Schuld an der Dekonstruktion von Familie, Volk und Kirche?
Kein Mensch in der AfD denkt daran, die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Frage zu stellen. Man muss aber diese Gleichberechtigung von der sogenannten Gleichstellungspolitik scharf unterscheiden. Gleichstellung heißt nicht Chancen- sondern Ergebnisgleichheit, was v.a. durch Quoten erreicht wird. Immer öfter haben Männer bei Stellenbewerbungen allein aufgrund ihres Geschlechts das Nachsehen. Das widerspricht eklatant dem Verfassungsgrundsatz der Gleichberechtigung, weshalb wir Gender Mainstreaming in der Tat ablehnen. Können Sie sich daran erinnern, dass über Gender Mainstreaming jemals eine demokratische Diskussion stattgefunden hat? Man hat es per EU-Richtlinie vor Jahren einfach verordnet und diffamiert seither jeden als reaktionär oder „rechts“, der es zu kritisieren wagt.
Statt „Gender Mainstreaming“ fordern Sie „Erziehung zur Männlichkeit“. Welche Männlichkeit meinen Sie?
Das Körnchen Wahrheit der Gendertheorie liegt ja darin, dass geschlechtsspezifisches Verhalten durchaus auch kulturell erlernt werden muss. Man darf daraus nur nicht – wie die Genderideologen – den Schluss ziehen, dass es also systematisch verlernt werden sollte. Im Gegenteil ist es auf eine Weise einzuüben, dass weder dem eigenen biologischen Geschlecht noch dem jeweils anderen dabei Unrecht geschieht. Im Hinblick auf unsere erotische Kultur bedeutet Gender Mainstreaming ja die pure Verwüstung.
Ihre Aktivitäten sind an der Hochschule umstritten. Einige Studenten und Professoren fordern Maßnahmen gegen Sie. Riskieren Sie durch Ihr politisches Engagement Ihre akademische Karriere?
Eine akademische Karriere werde ich in Deutschland mit Sicherheit nicht mehr machen. Wenn die mediale Hetze gegen die AfD weitergeht wie bisher, dann stellt sich sogar die Frage, ob ich meine gegenwärtige Arbeitsstelle behalten kann. Immerhin hat sich das Rektorat meiner Hochschule für die Meinungsfreiheit stark gemacht, das gibt Hoffnung.
Für den Kunstwissenschaftler Beat Wyss, selbst Professor an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe (HfG), lassen Sie sich als „akademisches Feigenblatt“ einer „rechtsnationalen Splitterpartei mit Verbindungen in die Neonazi-Szene“ missbrauchen.
Daran sehen Sie, was ich meine. Ich empfinde das als den akademischen Arm der Antifa, die eine meiner Wahlkampfveranstaltungen vor kurzem gesprengt hat. Dass die systemtragenden Alt-Achtundsechziger die akademische Welt heute von dissidenten Gedanken säubern wollen, ist ein Schmierenstück der Zeitgeschichte.
Auch Ihr philosophischer Mentor Peter Sloterdijk grenzt sich von Ihnen ab. Laut FAZ sähe er es lieber, Sie führten Ihre „seit langem überfällige Habilitationsschrift zu Ende.“ Hören Sie noch auf seinen Rat?
Peter Sloterdijk hat auf etwas vehemente Art die Insinuation der FAZ-Journalisten zurückgewiesen, er sei der heimliche AfD-Philosoph. Das war ja auch wirklich Unsinn. Sloterdijks Distanzierung von der AfD kann mich aber nicht daran hindern, seine jüngsten Aussagen im CICERO zur Flüchtlingskrise Satz für Satz richtig zu finden.
Interview: Heinrich Schwazer
ZUR PERSON:
Marc Jongen, 1968 in Meran geboren, studierte zwischen 1987 und 1995 an der Universität Wien Philosophie, Indologie, Geschichte, Germanistik und Volkswirtschaft. 1998 erscheint sein erstes Buch in Diederichs Gelber Reihe unter dem Titel: „Das Wesen spiritueller Erkenntnis. Eine Reise ins Innere des Geistes“.
Seit 1994 verfasst er Essays, Rezensionen und Reportagen u.a. in „Die Presse“ (Wien), „Wiener Zeitung“, „Die Zeit“ (Hamburg), „Sinn und Form“ (Berlin). Zwischen 1996 und 1997 war er Redaktionsmitglied (der ersten Stunde) der „Neuen Südtiroler Tageszeitung“.
1999 begann er ein Doktoratsstudium an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe mit einer Dissertation bei Prof. Dr. Peter Sloterdijk über den Kultur- und Religionsphilosophen Leopold Ziegler.
Seit 2003 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter für Philosophie und Ästhetik sowie Assistent des Rektors Peter Sloterdijk an der HfG-Karlsruhe.
Auf politischer Ebene ist er stellvertretender Landesvorsitzender der AfD in Baden-Württemberg, erster Nachrücker der AfD für das Europaparlament sowie Mitglied der Bundesprogrammkommission seiner Partei.
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